X

Bericht Liam Everts: „Das ist erst der Anfang!“

Er ist 14 Jahre jung und hat mehr als 40.000 Follower auf seiner Instagram-Seite. Dennoch wetten wir, dass Motocross-Fahrer Liam Everts gerne seine „gesamte Entourage“ austauschen würde, um das entscheidende zweite Rennen der letzten Junioren-Weltmeisterschaft noch einmal zu bestreiten. Diesmal ohne mechanisches Versagen. Denn in der ersten Runde hatte der kleine Limburger in Australien großen Eindruck hinterlassen…

Liam Everts war kaum zwei Jahre alt, als er auf Papa Stefans Arm saß und auf die Menschenmenge blickte, die sich in der Zitadelle von Namur versammelt hatte. Stefan Evers feierte an diesem Tag seinen 99. GP-Sieg. Wenn man Opa Harrys Quartett zu den 10 Weltmeistertiteln von Vater Stefan hinzufügt, versteht man, wie weit der Schatten von Liams Vorgängern reicht. Dennoch geht „Liamski“ zielstrebig seinen eigenen Weg.

Höchste Konzentration bei der Junioren-Weltmeisterschaft am vergangenen Wochenende.

Weltmeistertitel in greifbarer Nähe

Am vergangenen Wochenende wäre ihm in Horsham, etwa 300 Kilometer von Melbourne entfernt, beinahe eine große Leistung gelungen. Bei seiner zweiten Teilnahme an der 85er-Jugendweltmeisterschaft im australischen Horsham lief es schließlich gut. 2017 musste sich Everts noch mit einer Statistenrolle bei der Junioren-Weltmeisterschaft begnügen, der Unterschied zu 2018 könnte kaum größer sein. Liam Everts: „Der erste Lauf verlief wirklich gut! Auch wenn ich mich im Qualifying nicht so gut gefühlt habe, hat am Sonntagnachmittag alles gepasst. Eigentlich war ich ein bisschen schockiert darüber, wie einfach es war.“ Von Anfang bis Ende lag Everts in einem fließenden, kontrollierten Stil an der Spitze. Mit mehr als 14 Sekunden Vorsprung vor dem Niederländer Kay DeWolf Liam überquerte endlich die Ziellinie.

Beide Stefan Everts, Mechaniker Marc Verpaelen an die Mentoren BenTownley waren von ihrem Schüler begeistert. Nach einer Bronzemedaille im Finale der 85ccm-Europameisterschaft im letzten Monat schien der junge KTM-Fahrer „Down Under“ über sich selbst hinauszuwachsen. Aufgrund eines unerklärlichen technischen Problems mit dem lokal geliehenen Motor war Everts im zweiten Rennen bereits nach wenigen Kurven zu Fuß unterwegs. Das unausweichliche Schicksal eines jeden Motorsportlers. „Sie wissen vielleicht, dass ich einen Rückblick auf meine WM-Titelniederlage gegen Sebastien Tortelli im Jahr 1998 hatte.“ seufzt Stefan Everts. „Eine Technik, die einen manchmal im Stich lässt, gehört leider zu unserem Sport, aber was Liam in Australien gezeigt hat, war beeindruckend. In der ersten Serie war er mit Abstand der Stärkste.“

Stefan Everts (links), Mechaniker Marc Verpaelen (rechts) und Liam, kurz vor dem Start.

Tadellose Fahrtechnik

Auch die wachsende Schar von Anhängern von „Liamski“ und seinen Gefährten erhielt die herzzerreißende Nachricht in Flandern. Auch Trainer Pierre Schroyen von Motorsport Future, normalerweise ruhig, mitfühlend. „Wenn man so nah dran ist, wenn man das Gefühl hat, dass mehr dahintersteckt, dann ist so ein Rückschlag natürlich noch schwerer.“ Andererseits ist dies auf globaler Ebene eine Bestätigung dafür, dass es Liam gut geht. Eigentlich glaube ich, dass die positive Entwicklung bereits im letzten Sommer begonnen hat. Technisch gesehen gehört Everts in der 85er-Klasse sicherlich zur Spitze. Andere Fahrer sind etwas größer und stärker. Da Liam aufgrund seiner geringen Statur körperlich etwas benachteiligt ist, muss er das auf dem Rad ausgleichen, aber er macht einen hervorragenden Job.“

Seit 2016 liegt Liam teilweise im Krankenhaus Motorsport-Zukunft (MSF), die Organisation, die mit Unterstützung von Sport Vlaanderen junge flämische Motocross-Fahrer auf ihrem Weg an die Spitze begleitet. Letztes Jahr war sein erstes volles Jahr im MSF-Programm. Neben der körperlichen Betreuung durch die Trainer Pierre und Inge Van Raemdonck Bei der sportlichen Ausbildung von Everts wird natürlich viel Wert auf Fahrtechnik und sportartspezifisches Coaching gelegt. Es versteht sich von selbst, dass Stefan Everts dabei die Führung übernimmt. Doch schon bevor Liam mit dem Wettkampf begann, legte auch Opa Harry einen hervorragenden Grundstein. Der charaktervolle Mann aus Neeroeteren mit dem Spitznamen „Rikske“ weiß besser als jeder andere, wovon er spricht. Harry Everts Immerhin verfügt er über fast 30 Jahre Erfahrung im Coaching junger Motocross-Fahrer. Er bereitete viele Talente auf die Weltspitze vor und organisiert seit vielen Jahren Motocross-Camps in seinem eigenen Land und in Spanien.











 

Motor-Gen oder Champion-Gen?

Was im Volksmund als Talent beschrieben wird, kann oft auf „Gespür“ oder die scheinbare Leichtigkeit reduziert werden, mit der sich die Top-Performer von den geringeren Göttern unterscheiden. (vermeintliche) inhärente physikalische Eigenschaften erweisen sich oft als Erklärung für Spitzenleistungen. Im Fall des großen Basketballspielers oder des kompakten Körperbaus des Sprinters ist dieser Zusammenhang offensichtlich. Bei einem Motorsportler spielen (noch) mehr Variablen eine Rolle. Dass Liam Everts damit auf die Welt gekommen wäre motorcrossgen ist natürlich völliger Unsinn.

Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass Liam schon früh für den Sport angeregt wurde und schon früh ein Talent für Gleichgewicht und Koordination zeigte. Auf dem Laufrad oder mit einem Mini-BMX hat „Liamski“ alles gemacht und alles gewagt. Egal, ob Mama oder Papa da waren oder ein Passant ihn mit anderen Kindern auf der Koppel spielen sah. Oder ist das nur der Antrieb, das Gefühl zu haben, dass einem etwas Spaß macht und man darin besser werden möchte?

„Liam hat es nie an Motivation gefehlt“ stimmt zu. MSF-Trainerin Inge. „Manchmal merken wir, dass wir ihn bremsen müssen, um nicht zu viel zu trainieren! Gerade für einen jungen Spitzensportler besteht immer noch die Suche nach dieser Balance. Wenn man noch in der Wachstumsphase ist und Sport auf hohem Niveau – in Liams Fall mit viel Reisen obendrauf – verbindet, dann sind Ruhe und Erholung umso wichtiger.“ 

Ein von seinen Vorgesetzten entwickeltes Schulungsprogramm ist dabei natürlich eine wichtige Richtschnur.

Doch auch Everts Junior weiß ganz genau, was er will. „Liam selbst kam letztes Jahr auf den Vorschlag, ein umfangreiches dreimonatiges Praktikum in Neuseeland zu organisieren.“ sagt Mama Kelly. Im Herbst 2017 zog der kleine Everts alleine ans andere Ende der Welt. Unter den Fittichen des ehemaligen Spitzenreiters – und Freundes des Hauses – Ben Townley konnte Liam in unserem Winter perfekt trainieren. Liam machte in Down Under enorme Fortschritte, hielt seine Lektionen pflichtbewusst aus der Ferne aufrecht und lernte, besser Englisch zu sprechen als der durchschnittliche belgische Politiker. Allerdings mit einem echten „Kiwi“-Akzent.

Nach seinem EM-Podium in Tschechien brillierte Liam Everts nun auch bei der Jugend-WM.

Himmelshoher Druck

Als kleiner Junge erhielt Liam von Michele RinaldiDem damaligen Teammanager von Stefan Everts wurde sofort ein echter Yamaha-Vertrag angeboten. Es war halb aufrichtig, halb scherzhaft. Doch dieses Foto ging in der Motorradfachpresse um die Welt. Ich möchte nur sagen, dass „Liamski“ nichts anderes kannte, als im Rampenlicht aufzuwachsen. Die wachsende Aufmerksamkeit von Fans und Medien sorgt sicherlich für eine besondere Dynamik. „Selbst jetzt sind bei einigen Wettbewerben viele Leute um Liam herum und es ist sehr beschäftigt, wo er im Fahrerlager ist. Zwischen den Läufen macht er aber ganz unkompliziert Fotos mit Leuten oder verteilt Autogramme und Poster.“ erklärt Pierre. „Für einen so jungen Mann sind die hohen sportlichen Erwartungen noch größer. Während andere mit dieser Aufmerksamkeit nur schwer zurechtkommen würden, scheint es für Liam das Normalste auf der Welt zu sein!“

Auch der Spaß am Motorrad gehört dazu!

Der nächste Schritt auf der Leiter nach oben ist die Umstellung auf 125 ccm. Damit ist Everts in der letzten echten Jugendkategorie angekommen. Die Motoren sind größer, leistungsstärker und schneller. Kurz gesagt, ein Schritt näher an die Maschinen, die bei den Hauptpreisen verwendet werden. Von Eile kann jedoch keine Rede sein. „In Liams Alter kann noch so viel passieren. Wir werden sehen, wie er den Winter übersteht, wenn er sich an den neuen Motor gewöhnt. Wenn er bereit ist für die große Arbeit in der 125er-Europameisterschaft, dann ist das in Ordnung. Sollte das nicht der Fall sein, werden wir ein Übergangsjahr mit internationalen Wettbewerben in Deutschland, den Niederlanden und Belgien einführen.“ 


Sandwich mit Schokolade


An der Konzentration und dem Antrieb des angehenden GP-Fahrers gibt es jedenfalls nichts zu kritisieren. „Man kann tatsächlich sagen, dass Liam für seinen Sport lebt. Er ist sehr beschäftigt, auch wenn es um seine Ernährung geht. Zuzusehen, was er isst, ist für Liam im wahrsten Sinne des Wortes Alltag. Nach seinem Geburtstag gönnte er sich nach eigenen Angaben ein Schokoladensandwich. Das ist Liamski durch und durch.“ lacht Trainer Pierre. „Für alle anderen Teenager ist das, was jeden Tag auf ihrem Teller ist, für Liam eine außergewöhnliche Belohnung. Er ist so diszipliniert.“

Bei Motorsport Future hat Everts mit dem jungen Balenier bereits ein inspirierendes Beispiel Jago Geert. In diesem Jahr gelang Geerts in seinem ersten Jahr der Weltmeisterschaft in der MX2-Klasse der absolute Durchbruch. Wobei das Kemea-Yamaha-Versprechen nur eines von vielen Vorbildern ist. Schließlich gehörte Liam Everts schon in jungen Jahren zu den großen Champions.

Zusammen mit Großvater Harry Everts

Er musste nicht lange nach den Größten suchen. Sobald „Liamski“ zu erkennen gab, dass er selbst Motocross fahren wollte, machte Harry Everts seinem Enkel klar, dass Motocross-Fahrer eine ganz eigene Rasse sind. So schön das Fahren auch ist, wenn die Dinge gut laufen, ist Durchhaltevermögen für einen Motocross-Fahrer keine Option, sondern eine moralische Verpflichtung. Denn wer querfeldein will, sollte nicht albern sein. „Rikske“ Everts, die mit Kinderlähmung geboren wurde und als Älteste einer neunköpfigen Bergbaufamilie alles andere als für ein Leben als Champion vorgesehen war, machte es zu seinem Lebensmotto. Sohn Stefan und Enkel Liam teilen den gleichen Antrieb. Liam: „Motorschaden wie in Australien, das ist auch Motocross. Dennoch denke ich, dass ich letztes Wochenende gezeigt habe, was ich kann. Ich möchte mich bei allen bedanken, die es mir ermöglicht haben, meine Chance dort zu nutzen. Es war auch großartig, Ben Townley bei einem so besonderen Spiel dabei zu haben. Ich werde auf jeden Fall weiterarbeiten, das ist erst der Anfang.“

Tekst: Tom Jacobs
Fotos: Gino Maes, Jack Foley, ADAC Motorsport, Motorsport-Zukunft